Liebe Leserin, lieber Leser!

Thomas L. Friedman hatte vor Jahren mit seinem Buch „Die Welt ist flach“ einen ansehnlichen Erfolg. Darin erklärt er seine Sicht auf die Globalisierung, die er in drei Ären einteilt, in der dritten sind wir gerade. In dieser Ära ist Globalisierung nicht mehr Sache von Staaten (Ära 1) oder Firmen (Ära 2), sondern des Individuums.

So schön und schlüssig seine Argumentation auch ist, sie geht von einer Welt aus, in der die Staaten alle auf einem sehr ähnlichen Niveau sind. Selbst die Einwohner von Staaten der sogenannten Dritten Welt befinden sich globalen Wettkampf. Ja, das stimmt, aber…

Und nun stellt sich heraus, dass es doch nicht so einfach ist.

Denn – und das ist eine sehr schmerzhafte Lektion aus dem Ukraine-Krieg – Globalisierung betrifft auch Staaten und Staatenbünde.

Fangen wir mit Russland an. Die bisher als mächtigste Armee der Welt geltenden Streitkräfte Russlands zeigen einen äußerst desolaten Zustand. Das fängt bei der Ausbildung an und geht über die Qualität und die Quantität der Waffen weiter.
Vertrauenswürde Quellen belegen, dass in vielen russischen Präzisionswaffen Teile aus „dem Westen“ oder aber „Fernost“ stecken. Nun ist Russland mehr oder weniger isoliert und kann diese Präzisionswaffen nicht mehr in ausreichender Stückzahl produzieren.
Deutschland will das Waffensystem „Gepard“ liefern, eine Flugabwehrwaffe, die in den deutschen Streitkräften – obwohl sie ausgemustert wird – immer noch sehr geschätzt wird. Die Munition für die beiden 35 mm Maschinenkanonen stammen hauptsächlich aus der Schweiz, ein neutraler Staat, der keine Waffen in ein Kriegsgebiet liefern möchte. Andere Produktionsstätten können nicht in ausreichender Stückzahl liefern – noch nicht. Das ist Globalisierung.

Weltweit werden Lebensmittel produziert und die Überschüsse ins Ausland verkauft, sie stellen teils gar eine der größten Einnahmequellen dar. In Europa merken wir das gerade an verschiedenen Knappheiten, die zu Lücken in den leergehamsterten Regalen führen; kaufen Sie in Deutschland doch mal Sonnenblumenöl oder -margarine… Die Sonnenblumenkerne stammen größtenteils aus der Ukraine… und Indien hat gerade angekündigt, keinen Weizen mehr zu exportieren.

Die EU denkt nun sehr laut darüber nach, nicht nur die „Energiewende“ mit Schulden zu finanzieren, sondern eben auch den Wiederaufbau der Ukraine. Vielleicht wäre hier ein Blick auf das Ende des zweiten Weltkriegs sinnvoll, der Marschall-Plan hat Europa wieder aufgebaut – und der Fleiß der Menschen vor Ort.

Gerade im Wehrbereich findet derzeit ein Umdenken statt. Setzte man weltweit zunehmend auf globale und damit große und potente Zulieferer, die die Produkte preiswerter anbieten konnten, scheinen die Verknappungen dazu zu führen, dass die Länder vermehrt auf Eigenproduktion setzen.

Vor Jahren haben wir über den von vielen als Clown verstandenen Präsidenten Trump geschimpft oder gelacht, heute erscheint sein „America first“ in einem anderen Licht. Aber Vorsicht! Das könnte zu merkantilistischen Ideen führen, also der Idee, immer mehr zu exportieren und nichts zu importieren. Dass dies zur Implosion der Märkte führt, hatte man insbesondere in Frankreich schnell gemerkt. Das darf uns nicht passieren.

Der europäische Markt ist in sich gefestigt, leidet aber gerade unter einer Inflation, die auf zwei Füßen steht: der Idee, dass Energie verteuert werden müsse, und dem Krieg in der Ukraine, der viele Produkte verknappt und damit verteuert.

Das erstere ließe sich schneller lösen als das zweite. Steuern runter, damit die Wirtschaft nicht in eine Hyperinflation verfällt. Der Ukraine-Krieg kann nur auf eine Weise beendet werden: Russland muss einsehen, dass es im heutigen Europa, der heutigen Welt nicht geht, anerkannte Grenzen einfach so umzuschreiben. Der Ukraine-Krieg ist nicht zu Ende, wenn die Ukraine von Russland besiegt ist, das ist ein Irrtum; dass es danach sicher mit anderen Ländern weitergeht, zeigt uns ein Blick in die Geschichte.

Herzlichst, Ihr

Bernhard Diel

(OStRiE) ist Geschäftsführer der AEGRAFLEX, der europäischen Vereinigung der Graveure und Flexografen.